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Stadt-Gespräche — Folge 11

In den Stadt-Gesprächen reden wir, vom städtischen Start-up ShiftDigital, mit Mitarbeiter*innen aus der Verwaltung über Digitalisierung, E-Government und New Work. In dieser Folge sprechen wir mit Ralf Engels darüber, wie die Auswirkungen des Klimawandels unsere Kanalsysteme beeinflussen.

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Nina da Costa: Herzlich Willkommen! Stell dich doch kurz vor.

Ralf Engels: Mein Name ist Ralf Engels, ich bin 45 Jahre alt, Bauingenieur, und arbeite im Tiefbauamt der Stadt Bochum, in der Abteilung Entwässerung. Da mache ich strategische Entwässerungsplanung.

Nina: Das heißt, du arbeitest am PC?

Ralf: Hauptsächlich ja. Es geht darum, sich prinzipiell die Frage zu stellen: Wie muss unser Entwässerungssystem aussehen und was für Voraussetzungen müssen wir schaffen, um auch in Zukunft unsere Aufgabe erfüllen zu können? Wir haben mit dem Klimawandel eine große Unbekannte, die da mit reinspielt. Wir wissen nicht, wie viel, wo und wann es in Zukunft regnen wird und müssen trotzdem unser System so ausrichten, dass alle Eventualitäten berücksichtigt werden. Das ist eine ziemlich komplexe Aufgabe, deswegen gibt es auch eine eigene Stelle dafür.

“Stell dir mal vor, wie viel sich am Klima und der Stadt in 100 Jahren verändert — und das Kanalnetz darunter bleibt weitestgehend gleich.”

Nina: Und es ist auch nicht so, als könnte man das Kanalsystem einfach komplett neu machen, oder?

Ralf: Mit unserer derzeitigen Kapazität würden wir mehr als hundert Jahre brauchen, um es neu zu bauen — und das ist auch die Zeit, die wir brauchen, um es zu erneuern. Wir sind ja permanent dabei und schauen immer: welche Kanäle sind jetzt kaputt? Welche sind nicht mehr groß genug, weil Neubaugebiete dazugekommen sind? Dann werden die erneuert. Wir graben im Prinzip ständig an unserem Kanalnetz herum, aber das sind 1.200 Kilometer. Wenn wir 12 km im Jahr schaffen, ist das gut — dann sind wir in 100 Jahren einmal durch das System durch.

Nina: Und könnt längst schon wieder von vorne anfangen.

Ralf: Ganz genau. Wir hoffen, dass die Kanäle hundert Jahre halten. Und jetzt stell dir mal vor, wie viel sich am Klima und an der Stadt selbst in hundert Jahren verändert — und das Kanalnetz darunter bleibt weitestgehend gleich. Und darüber müssen wir uns Gedanken machen.

Nina: Stimmt es, dass fast ganz Bochum hochwassergefährdet ist?

Ralf: Ja, wobei man es nicht Hochwassergefahr nennt, weil es das nur bei Gewässern gibt — wir haben eine hohe Starkregengefahr in Bochum.

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Nina: Das heißt, wenn die Straßen komplett überschwemmt wären, hieße das Starkregen, nicht Hochwasser? (Lacht)

Ralf (lacht): Genau, das wäre in Bochum so. Starkregen kann überall auftreten und wird umso intensiver, je höher der Versiegelungsgrad ist, also je mehr Beton, Häuser, und Straßen es gibt. Bochum ist sehr dicht besiedelt und insofern ist das Risiko hier überall ähnlich hoch. Es kann sich insbesondere im Sommer die Hitze stauen und warme Luft nach oben steigen, mit viel Flüssigkeit, und dann kann es zu Starkregen kommen. Auch da müssen wir unser Kanalnetz und die Geländeoberfläche, also die Straßen etc., darauf ausrichten, dass sie dieses Wasser aufnehmen und abtransportieren können.

“Wir haben immer häufiger mit Niederschlagsereignissen zu tun, für die die Kanäle nicht ausgelegt sind.”

Nina: Das heißt, eigentlich müsste man auch die komplette Stadtoberfläche umgestalten, zum Beispiel einen schönen Grünring um die Stadt anlegen?

Ralf: Das wäre toll! Da wollen wir hin, das nennt man “wassersensible Stadtentwicklung”. Das ist ein Bereich, der in meine strategische Entwässerungsplanung fällt. Es ist ja nicht furchtbar strategisch, einen Kanal zu bauen. Man weiß im Prinzip seit den Römern, wahrscheinlich sogar noch früher, wie das funktioniert. Aber wir haben immer häufiger mit Niederschlagsereignissen zu tun, für die die Kanäle nicht ausgelegt sind. Wenn wir einen Kanal bauen müssten, der den Starkregen aufnehmen kann, wären die Entwässerungsgebühren hier vielleicht zwanzigmal so hoch, und das würde kein einziger Bürger wollen. Insofern sind wir sehr darauf bedacht zu überlegen, wie viel Wasser in den Kanal passt — da gibt es gesetzliche Regelungen. Aber darüber hinaus kann es auch regnen. Und das ist unsere strategische Planung: wo wir das Wasser hinbringen, wenn es so stark regnet, dass der Kanal es nicht mehr aufnehmen kann.

“Ohne Entwässerung würde keine Dusche funktionieren, kein Waschbecken, keine Toilette.”

Nina: Ist der Klimawandel in eurem Job denn jetzt schon spürbar?

Ralf: Qualitativ ist er spürbar — wir wissen das. Wir merken auch an den Ereignissen und den Schäden, dass diese häufiger werden. Rein statistisch tut sich noch nicht viel, aber es gibt Situationen, an denen wir es relativ deutlich merken. Zum Beispiel ein Niederschlag, der statistisch alle 30 Jahre auftritt, in den letzten 10 Jahren aber fünf mal aufgetreten ist. Das macht ihn statistisch noch nicht viel häufiger, weil wir meistens nach dem zweiten Weltkrieg angefangen haben, Messreihen aufzunehmen und fünf Ereignisse in zehn Jahren die Statistik noch nicht komplett kaputtmachen. Aber es geht in die Richtung, dass wir mit solchen Ereignissen viel häufiger zu tun haben.

Nina: Wie sind wir Bürger*innen denn von deinem Job betroffen — wahrscheinlich, ohne es zu wissen?

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Ralf: Ohne Entwässerung würde keine Dusche funktionieren, kein Waschbecken, keine Toilette, weil alles an Wasser, was da reinfließt, auch durch den Ausfluss wieder rausfließt und ja irgendwo hin muss. Und wir sorgen dafür, dass all dieses Wasser — neben dem ganzen Regenwasser — zur Kläranlage geleitet, gereinigt wird, und wieder in die Umwelt zurück kann.

Nina: Wie sah deine Laufbahn, dein Leben vor der Verwaltung aus?

Ralf (lacht): In meinem Leben vor der Verwaltung habe ich Bauingenieurwesen studiert, dann erst an der Uni und später zehn Jahre an einer dänischen Forschungsstiftung gearbeitet. Danach war ich drei Jahre an einem Forschungsinstitut an der RWTH in Aachen, und seit einem Jahr bin ich in der Verwaltung.

“Wir haben schon viel erforscht, wissen aber noch furchtbar wenig.”

Nina: Wie sieht Forschung als Bauingenieur aus?

Ralf: Im Wesentlichen geht es darum, unseren Wasserkreislauf besser zu verstehen. Wir haben schon viel erforscht, wissen aber noch furchtbar wenig. Es passieren so viele Dinge, mit denen wir nicht gerechnet haben. Konkret habe ich z.B. an der Frage geforscht, wie wir Messgeräte entwickeln, mit denen wir kleine Gewässer befahren können. Ich habe ein einen Meter langes Boot mit ganz viel Messtechnik drauf entwickelt, womit man über kleinere Gewässer fahren und alles mögliche messen kann: Wasserqualität, Wassertiefe, und so weiter. Sowas erforscht man im Wasserbereich: wie unsere Umwelt und die Reinigung von Wasser in der Natur funktioniert. Und das setzt man auch in Produkte um, mit denen wir arbeiten können.

Nina: Es gibt ja auch Swimmingpools, die komplett selbstreinigend sind, weil ganz spezifische Pflanzenarten drin sind. Da denkt man sich schon: könnte man das auf eine komplette Stadt übertragen? (Lacht)

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Ralf: Genau das sind die Fragen, die man sich durchaus stellen sollte, weil sich nachher eventuell herausstellt, dass diese Pflanze einen bestimmten biologischen Prozess hat, den zum Beispiel auch Bakterien durchführen. So sind Kläranlagen entstanden! Und es gibt Pilze, die in Tschernobyl wachsen und sich von radioaktiven Abfällen ernähren. Vielleicht liegt da irgendwo die Lösung für unser Problem mit radioaktiven Abfällen. Und es ist spannend, weil wir immer wieder feststellen: eigentlich kann die Natur uns da helfen. Die Natur kann uns bei allem helfen — sie hat alle Lösungen parat.

Nina: Und notfalls entwickelt sie sie.

Ralf: Genau, und das ist total faszinierend.

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